Unser Boden: die Flächen der Stadt ergründen

Österreich gehört zum Spitzenfeld der Bodenversiegeler und fördert immer noch den Bau von Einfamilienhäusern „auf der grünen Wiese“. Insbesondere in den Randbereichen von Stadt und Land verhärten sich die Fronten – Landwirt:innen und Umwelt-aktivist:innen beklagen den Verlust von wertvollem Erdboden, Politiker:innen betonen die Notwendigkeit, neuen Wohnraum zu schaffen und zu erschließen.

Während die Boden-versiegelung „am Land“ augenscheinlich rasch voranschreitet, kommt die Boden-entsiegelung in „der Stadt“ nur langsam in die Gänge. Die urbane Flächennutzung und -aufteilung scheint in Beton gegossen zu sein. Warum ist das so? Wie wird Boden überhaupt aufgeteilt? Wer nutzt welche Flächen? Und wer bestimmt, was wo gebaut wird? Gemeinsam mit den 14 Schüler:innen der 1B-Klasse des BG9 in Wien haben wir uns mit diesen Fragen rund um das Thema Bodennutzung und Flächenaufteilung beschäftigt.


In der ersten Workshop-Einheit studierten wir statistische Zahlen, stellten Vergleiche an und diskutierten Ambivalenzen. Zuerst besprachen wir Daten zu ganz Österreich, dann zu Wien und schließlich zum neunten Bezirk, in dem sich die Schule befindet. Wie verhalten sich die Daten zueinander, wenn sich der Maßstab ändert? Bei den Betrachtungen lernten die Schüler:innen, dass statistische Zahlen sich manchmal mehr, manchmal weniger mit ihren Alltagsbeobeobachtungen decken. Wo sieht man etwa, dass in Österreich täglich ca. 4,7 ha produktiver Boden dauerhaft versiegelt werden? Was bedeutet es, dass auf jede Österreicher:in 15m Straße entfallen? Ist das „Grün“ in Wien gleichmäßig auf die Bezirke verteilt? Und wie sind die Flächen im 9. Bezirk verteilt?


Im nächsten Schritt widmeten wir uns einem grundlegenden Tool der Beobachtung und Analyse – der Karte. Zunächst fügten die Schüler:innen eine Karte des 9. Bezirk aus Fragmenten zusammen. Dazu veränderten sie ihre Perspektive auf ihre Alltagswelt und lernten, von oben auf diese zu blicken. „Ziemlich viel verbaut hier – der Neunte liegt ja auch mitten in der Stadt“. Anschließend ergründeten die Schüler:innen, in welchem Verhältnis unterschiedliche Flächen – Gebäude, Straßenraum, Grünraum, Wasser – zueinander stehen. Dazu zerschnitten sie die Karte, kategorisierten sie und ordneten die verschiedenen Flächen. Aus der Karte wurde ein Diagramm.


Im zweiten Teil des Workshops spielten wir ein Spiel, in dem die Flächen des 9. Bezirks neu verteilt wurden. Ausgehend von den Kartenschnipsel verhandelten die Schüler:innen in Kleingruppen eine Neuaufteilung der Flächen in einem begrenzten Gebiet. Die Schüler:innen schlüpften dabei in unterschiedliche Rollen: Sie wurden Architekt:innen, Landschaftsplanner:innen und Verkehrsplaner:innen. Im Dialog verhandelten sie unterschiedliche Interessen und versuchten, Kompromisse zu finden. Dabei ging es weniger um ein Endergebnis, sondern mehr um den Dialog. Gemeinsam formulierten wir Ideen wie bestimmte Flächen zukünftig anders genutzt und gerechter verteilt werden können. Utopien für eine klimagerechtere und sozial gerechtere Stadt waren gefragt!

Durch den spielerischen Diskurs wurden Argumentationsfähigkeiten und das Einfühlen auf verschiedene Positionen geübt, während beim „wilden Brainstorming“ spontan und losgelöst neue Ideen gesponnen wurden. Das gemeinsame Analysieren und Manipulieren einer Karte, der Diskurs sowie das freie Entwickeln von Ideen zur Zukunft der Stadt sollte den Schüler:innen das Gefühl vermitteln, Mitautor:innen von „Welt“ – und der Ordnung in ihr – zu sein.

Schule: Bundesgymnasium Wien 9
Lehrerin: MMag. art. Wagner-Cermak Marlis
Baukulturexpertise: Christian Frieß, Claudia Schaefers, Isabell Wolke

Dieses Projekt wird durch die Projektreihe RaumGestalten 2021/22 unterstützt, getragen von: OeAD, Architekturstiftung Österreich sowie Bundeskammer der Ziviltechniker:innen | arch+ing