Wie erkennt man, für wen ein Ort ist, wer Platz hat und wer nicht? Und aus welchem Blickwinkel wird ein Ort als ein, mein, dein, unser, euer oder kein Raum gekennzeichnet?
Gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern gingen wir diesen Fragen vor Ort gemeinsam nach. Ganz im Sinne einer demokratischen Aufklärungsdebatte führten uns die Kinder gehend durch die Nachbarschaft der Volksschule und erzählten von Ereignissen, die sich an diesem oder jenem Ort zutrugen.
Sie erzählten von verlorenen Orten wie der Telefonzelle in der Nähe der Bushaltestelle, die abmontiert wurde und die sie nie zum Telefonieren benutzten, die ihnen aber beim Warten auf den Schulbus Schutz vor Wind und Wetter bot. Und sie erzählten von verlorenen Menschen, deren Name auf einer Gedenksäule, die am Schulweg steht, beim vorbeigehen Erinnerungen anstoßt. Sie berichteten von im Blumenmeer verschwundenen Handschuhen, die sie nicht wiederfanden und von Unfällen auf der harten Straße und von kleinen Verletzungen im Pausenhof.
Bevor wir aber die Orte in die gemeinsame Karte einzeichneten, übten wir, wie Orte in einer Karte repräsentiert werden. Dazu steckten wir einen Parkplatz, ihre Klassenzimmergröße und einen Rollstuhlwendekreis in einer Wiese ab. Wir erklärten den Kindern, warum die Normen existierten und wie praktisch sie in der realen Planungspraxis sind. Mit unseren Körpern vermaßen wir die Räume und berechneten, wie oft ein Parkplatz in eine Klasse passt, und wie oft ein Rollstuhlwendekreis in den Parkplatz passt. Zuletzt übertrugen wir diese normierten Räume in die Karte. Dann stellten wir den nüchternen Normen die lebendigen Erzählungen der Kinder gegenüber und zeichneten ihre Orte in die Karte. Die Kinder hatten zuvor „ihre Orte“ mit Fähnchen markiert und sich dort mit einer Polaroid Kamera gegenseitig fotografiert. Nun zeichneten sie ein Symbolfähnchen in die Karte und die Fotos wurden am Rand der Karte verteilt.
Am Ende des Projekttages sprachen wir darüber, was in der Schulnachbarschaft noch fehlt und was zu viel ist. Mehr Spielplätze fehlen, da waren sich alle einig. Ein Fußballstadion wäre toll – für manche. Dass „es in der Umgebung viele Häuser gibt, die verotten und zerfallen“ fiel einem Schüler auf. „Die könnte man doch für irgendetwas nutzen“, ergänzte er, „anstatt neue zu bauen“.
Eine Reflexion in der Gruppe über das Gelernte, über die wichtige Übung, anderen bei Erzählungen, dem Artikulieren von Bedürfnissen und Wünschen an und über den (Lebens-)Raum zuzuhören – und diese selbst zu artikulieren! – sowie eine Betrachtung und Interpretation der gemeinsam erarbeiteten Karte rundeten den Tag in Kirchbach ab.
Und wir schauten ein letztes Mal auf das alte Stadl, unter dessen Vordach wir diskutierten und zeichneten und welches nur mehr selten genutzt wird.
Schule: Josef Wallner Volksschule Kirchbach
Lehrerin: Judith Vesely-Röck
Baukulturexpertise: Christian Frieß, Korinna Lindinger, Birgit Schachner, Claudia Schaefers, Isabell Wolke
Dieses Projekt wird durch die Projektreihe RaumGestalten unterstützt, getragen von: OeAD, Architekturstiftung Österreich sowie Bundeskammer der Ziviltechniker:innen | arch+ing