Mutmaßen. Wo ist meine Distanz?

„Ein Zusammenleben von Menschen ist heutzutage ohne Maße und ohne Messen nicht mehr vorstellbar. Ja sogar die Existenz der Menschheit ist ohne Messung und ohne Berücksichtigung der Ergebnisse des Messens unmöglich.“*

Im vergangenen Jahr 2020 wurde das Wort „Babyelefant“ zum österreichischen Wort des Jahres gewählt. Bekanntermaßen meint der Begriff eine neue Maßeinheit, welche die Distanz von einem Meter zwischen Menschen symbolisiert. Damit wird das Rüsseltier – wie zum Beispiel das „Fußballfeld“ – zu einer bildhaften Maßeinheit, die weniger von den Planerinnen als von den Publizistinnen verwendet wird, etwa wenn eine Zeitung tituliert: „Fläche in der Größe von 30 Fußballfeldern wird täglich verbaut“ (Der Standard, 12. Oktober 2015). Wie groß ist eigentlich ein Fußballfeld? Und ein Babyelefant?

Mit den Kindern der SIP sprachen wir – virtuell und real – über Messbares und Nicht-Messbares. Wir bereiteten Arbeitsblätter und Aufgaben vor, die sie in die Welt der Perspektive und der Quantifizierung führten. Spielerisch erforschten die Schüler*innen historische und moderne Maßeinheiten, solche die naturwissenschaftlichen Konventionen unterliegen und solche, die auf Körpermaßen oder Analogien beruhen. Sie vermaßen ihre Schule und stellten sich die Frage, wie sich die Qualitäten etwa von Geräuschen und Texturen dokumentieren und kommunizieren lassen. Mit geschlossenen Augen tasteten sie Wände ab und gingen dann nach draußen um nicht tastbare Grenzen – ihr Schulhof wird nicht von Zäunen, sondern von Regeln („Ihr dürft bis dorthin gehen.“) begrenzt – zu kartieren. Oder sie legten sich auf den Rücken und blickten zur Abwechslung mal nach oben, um eine Karte der Zimmerdecke oder der Tischunterseiten anzufertigen.

Über einen Zeitraum von drei Wochen haben die beiden engagierten Lehrer der SIP die Arbeitsblätter in den Unterricht eingebunden. Passend zum Semesterthema „Sprache“ haben wir gemeinsam in zwei virtuellen Sessions über die Herkunft von Maßeinheiten gesprochen und mit den Schülerinnen diskutiert, warum die kartografische Repräsentation von „Welt“ eine eigene Sprache ist, deren (traditionelles) Vokabular unter anderem Maßstab und Perspektive beinhaltet. In der abschließenden Reflexion diskutierten wir, wie Planerinnen Karten als Grundlagen verwenden und warum diese – genauso wie sie Realität repräsentieren – auch Realität erzeugen.

*Wolfgang Trapp: Kleines Handbuch der Maße, Zahlen, Gewichte und Zeitrechnung, 1992, S. 9



Schule: Schule im Pfeifferhof
Lehrer*innen: Lisa Hofer, Christof Prem
Baukulturexpertise: Christian Frieß, Korinna Lindinger, Birgit Schachner, Isabell Wolke

Dieses Projekt wird durch die Projektreihe RaumGestalten unterstützt, getragen von: OeAD, Architekturstiftung Österreich sowie Bundeskammer der Ziviltechniker:innen | arch+ing